Normalerweise denkt man an große Zeiten, wenn vom Hamburger
SV gesprochen wird. Seeler, Hrubesch, oder auch das legendäre Spiel gegen
Juventus Turin. Der HSV hat zweifelsohne große Momente erlebt, doch zurzeit ist
man von solchen Dingen weit, sehr weit entfernt. Doch wie konnte es dazu
kommen? Wie kann es sein, dass ein solcher Verein schon vor einer Saison als
ernsthafter Abstiegskandidat gehandelt wird?
Die Entwicklung des HSVs zeigt schon seit längerem nach
unten und mittlerweile fällt es auch schwer bestimmten Personen die alleinige
Schuld zuzuschieben. Zu viele Leute haben falsche Entscheidungen getroffen. Vor
allem im finanziellen Sektor hat man sicherlich vieles extrem falsch gemacht.
Anders kann man es kaum erklären, dass der Verein finanziell beinahe am
Hungertuch nagt, obwohl man in den letzten Jahren u.a. durch van der Vaart, de
Jong, Kompany, van Buyten und Boateng sehr hohe Transfererlöse generieren konnte.
Eines der Hauptprobleme dürfte dabei sicher sein, dass man in der Ära
Hoffmann/Beiersdorfer zu oft eine erhebliche Summe für absolute
Durchschnittsspieler bezahlt hat, die dann auch noch gefloppt sind. Natürlich
gibt es noch viele weitere Faktoren, welche für so einen Absturz verantwortlich
sind (u.a. fehlende Einnahmen aus dem Europapokal), doch dieser Schuh dürfte am meisten von allen drücken.
Der HSV war letztendlich so tief gestürzt, dass man, mehr
oder weniger, die Reißleine ziehen musste und sich komplett neu aufstellte. Mit Frank
Arnesen holte man sich einen neuen starken Mann. Er sollte das Gesicht des
HSVs werden und dem angeschlagenen Dino mit seiner internationalen Erfahrung
helfen. Man wollte und musste sich zwangsläufig von großen Transferausgaben
verabschieden und dem allgemeinen Trend folgen, in dem man junge Spieler kauft
und sie entwickelt. Ein Weg, der alles andere als leicht und mit sehr vielen
Risiken behaftet ist. Das mussten schon so einige Vereine leidvoll erfahren und
auch der HSV kam nicht um die ersten Rückschläge herum. Besonders die Tatsache,
dass Arnesen den HSV in seinem ersten Jahr offenbar zur Zweitvertretung des FC
Chelsea machen wollte, sorgte für durchaus Diskussionsstoff. Erst Recht, als
sich andeutete, dass der HSV im Tabellenkeller hängen bleiben würde. Letztendlich
hat man sich aber doch noch retten können und verpflichtete während der Saison
auch noch einen jungen und modernen „Konzepttrainer“ in Thorsten Fink. Er
sollte für den endgültigen Aufbruch stehen. Die Mannschaft und das Umfeld
mitreißen und den HSV wieder weiter noch oben führen, doch auch eher schaffte
es nicht, trotz zwischenzeitlich positivem Lauf, den HSV wieder in ruhigere
Fahrwasser zu bringen.
Vor der aktuellen Saison machte man beim HSV nun den
endgültigen Cut und trennte sich von (finanziellen) Größen wie Petric, Guerrero
und Jarolim. Der Kader sollte ein neues Gesicht bekommen. Jünger und hungriger
sollte der HSV in diesem Jahr sein. Allerdings verlief die Transferperiode alles
andere als zufrieden stellend. Klanghaften Abgängen standen im Grunde genommen nur Neuzugänge gegenüber, wo noch niemand sagen kann, ob sie dem HSV auch wirklich weiterhelfen. Mit Adler holte man einen Keeper, der zweifelsohne
ein großes Potential besitzt, aber eben auch extrem lange verletzt war. Zudem verteilte
man mit dieser Verpflichtung eine saftige Ohrfeige an Jaroslaw Drobny. Das
Fußballgeschäft ist hart, es geht am Ende alles nach der Leistung und wenn man
einen Adler bekommen kann, sollte man zuschlagen, aber ein etwas
respektvollerer Umgang mit einem Keeper, der seine Gesundheit im Abstiegskampf
für den Verein aufs Spiel gesetzt hat, hätte sicher nicht geschadet. Ansonsten
kamen noch Maximilian Beister aus Düsseldorf zurück, der vermutlich beste
Zweitligaspieler der letzten zwei Jahre, und Artem Rudnev von Lech Posen. Drei Transfers, die zwar
ganz nett klingen und ein funktionierendes Team sicher gut ergänzen würden,
aber eher keine Namen, die das Umfeld vor Freude jubeln haben lassen. Doch
gerade das Umfeld ist in Hamburg eine sehr sensible Angelegenheit. Wie zu
Beginn dieses Textes schon geschrieben, hat der HSV eine glorreiche
Vergangenheit und es ist auch noch nicht lange her, als man gar als einer der
stärksten Bayern-Konkurrenten gehandelt wurde. Dementsprechend hart ist es für
einen Fan auch akzeptieren zu müssen, dass man Leistungsmäßig nur zum unteren
Drittel der Liga gehört. Viele können damit einfach nicht umgehen und selbst
diejenigen, die zu Beginn noch Verständnis gezeigt haben, mussten nach dem
Saisonstart erst einmal kräftig schlucken, denn die Niederlage beim KSC und der
sehr maue Auftritt zu Hause gegen den Glubb hatten gesessen.
Die Frage, die sich hier stellt, ist die, ob es bei einem
Verein wie dem HSV überhaupt möglich ist, längere Zeit des Misserfolgs zu
durchleben, um ein neues Team aufzubauen, ohne dass das Umfeld durchdreht? Vor
allem die vielen Fans haben, aufgrund der Vergangenheit, ein Anspruchsdenken
entwickelt, welches den HSV mindestens zu den Top 9 der deutschen Vereine zählt
und auch die damalige Parole („Wir wollen zu den Top 10 in Europa gehören!“)
hatte ihren Teil dazu beigetragen, dass die Leute sehr viel von ihrem HSV
erwarten. Wie es nun mal so ist, trennt sich der Fan aber äußerst widerwillig
von solchen Vorstellungen. Wer gesteht sich schon freudestrahlend ein, dass die
eigenen Ziele meilenweit entfernt sind und dass man die eigenen Ansprüche
erheblich senken muss, um keine falschen Vorstellung von der kommenden Saison
zu haben? Natürlich, niemand tut dies und so ist es auch wenig verwunderlich,
dass es um die Geduld vieler Hamburger sehr kurz bestellt ist und auch die
hanseatische Medienlandschaft trägt ihren Teil zur Gesamtsituation
bei. So ist es kein Wunder, dass beim HSV nach einer, bis zu diesem Zeitpunkt,
extrem dürftigen Transferperiode und den beiden verpatzten Auftaktspielen der
Kessel schon wieder ordentlich unter Dampf steht und die Gier nach dem Funken Hoffnung, der die Welt plötzlich wieder rosarot erscheinen lässt, ist extrem groß.
Ebenso groß ist allerdings auch die Angst vor dem Super-GAU. Ausgerechnet im
doppelten Jubiläumsjahr droht der Verein extremer als je zuvor in den
Abstiegskampf zu rutschen. Was kann man also tun? Am eingeschlagenen Weg
festhalten und darauf hoffen, dass das Duo Arnesen und Fink die Kurve doch noch bekommt?
Es wäre sicher eine Möglichkeit gewesen, doch beim HSV hat man am Ende den
zitternden Knien nachgegeben und den Transfermarkt im großen Stil erobert. Die,
durchaus sehr sinnvollen, Verpflichtungen von Jiracek und Badelj gingen
allerdings im Schatten einer weitaus größeren Verpflichtung beinahe komplett
unter. Gemeint ist hier natürlich der Wechsel von Rafael van der Vaart. Es
klingt sehr unrealistisch, doch mit der Hilfe von Klaus-Michael Kühne hat man es
tatsächlich geschafft den holländischen Nationalspieler an die Elbe
zurückzuholen. Ein Transfer, der unglaublich positive Auswirkungen im Umfeld
ausgelöst hat. In Hamburg werden sie bereits Schlange stehen um ein Trikot mit
der 23 zu bekommen, doch ist dieser Transfer wirklich nur positiv, oder täuscht
er über viele Sachen hinweg?
Rafael van der Vaart ist ein großartiger Spieler. Jemand der
dem HSV gut tun wird und das Team auch stärker macht, doch man darf ein paar
Dinge im ganzen Freudentaumel nicht unter den Tisch fallen lassen. van der
Vaart ist auch nur ein einzelner Spieler, der vernünftige Mitspieler braucht
und genau hier liegt das Problem. Die Kaderplanung des HSV ist in diesem Jahr
alles andere als hervorragend. Man hat es verpasst sich in der
Innenverteidigung, aber allem voran im Sturm vernünftig zu verstärken. Genau
diese Tatsache wird auch van der Vaart nicht völlig aus der Welt schaffen
können und gerade ein Spielgestalter wie er ist, ist auf einen guten Stürmer
angewiesen. Weiterhin hat der HSV damit dem eingeschlagenen Weg die Tür vor der
Nase zugeworfen. Man wollte einen jungen hungrigen und vor allem deutlich
billigeren Kader aufstellen, doch nach den ersten Rückschlägen bricht
man ein und legt doch noch einmal im ganz großen Stil nach. Ein Bild, das
mittlerweile leider nur all zu typisch für den HSV in der aktuellen Zeit ist. Auch die finanzielle Abhängigkeit von
Kühne ist alles andere als positiv zu bewerten. Der HSV hat sich für van der Vaart
an den Tropf von Kühne gehangen. Bereits vor dem van der Vaart-Deal (und auch
schon vor der Jiracek/Badej-Verpflichtung) hat man darauf hingewiesen, dass im
Grunde genommen kein einziger Cent für Neuverpflichtungen zur Verfügung steht.
Wenn man diese Tatsache beachtet, dann kann man sich relativ schnell zusammen
reimen, wie groß der finanzielle Anteil von Kühne an diesem Wechsel ist. Sowohl
Ablösesumme, als auch das nicht geringe Gehalt dürften zum größten Teil von
Kühnes Privatkonto abgebucht werden. Genau hier werden erschreckende Parallelen
zum 1. FC Köln sichtbar. Auch am Rhein hatte man geglaubt, dass man mit der
Podolski-Verpflichtung einen großen Schritt nach vorne machen kann, doch das
Gegenteil wer der Fall. Es drehte sich alles nur noch um Podolski und der
Verein war in den Folgejahren gefangen in den finanziellen Fesseln dieses, viel
zu großen, Transfers. Ähnliches könnte auch dem HSV blühen. Eine weitere Frage
ist es auch, was passiert, wenn van der Vaart nicht einschlägt. Was passiert,
wenn der HSV auch mit ihm floppt und er sich doch dazu entschließt den Verein
verlassen zu wollen? Wie würde der HSV finanziell damit umgehen, wenn man keine
zweistellige Millionensumme mehr für ihn bekommt und sich trotzdem noch mit
Kühne herumschlagen muss, der, trotz seiner Vorliebe für van der Vaart und den
HSV, ganz sicher keine Millionenbeträge zu verschenken hat.
Doch auch jenseits dieser Gefahren, muss man beim HSV dafür
sorgen, dass der Transfer keine falschen Erwartungen und Erwartungen
hervorruft (was beinahe unmöglich sein dürfte). van der Vaart wird den HSV,
zumindest kurzfristig, nicht in die Zeit um 2005-2008 herum zurückführen
können, denn es war eben nicht nur der Holländer, der den HSV damals so
stark machte. Mit Rost, van Buyten, Kompany, de Jong, Olic und co. verfügte man
über eine deutlich höhere Qualität. Ob daran aber auch wirklich jeder denkt,
darf durchaus bezweifelt werden. Mit van der Vaart sind die letzten „großen“
Zeiten des HSV verbunden und dementsprechend weckt seine Rückkehr automatisch
Hoffnungen, die unter Umständen eine unglaubliche Last für das Team werden könnten.
Abseits dieser ganzen Fragen und Befürchtungen stellt sich
auch noch die Frage, ob van der Vaart selbst weiß, worauf er sich da einlässt.
Mit seiner Unterschrift hat er sich dazu bereit erklärt, sich, vorerst, vom
ganz großen europäischen Fußball zu verabschieden und das in der Blütezeit seiner
Karriere. Ist die Liebe zum HSV wirklich größer, als der Hunger nach Erfolg?
Möglich wäre es, doch man tut es sich sehr schwer damit, dies in der heutigen
Zeit zu glauben. Vor allem, wenn man bedenkt, wie van der Vaart damals seinen
Wechsel provoziert hatte. Natürlich war er zu dieser Zeit noch relativ jung und
jeder macht Fehler und lernt aus diesen, doch eine gesundere Portion Skepsis ist in diesem Fall sicher nicht unangebracht.
Genauso erstaunlich ist es auch, wie vergesslich ein Großteil des Hamburger
Publikums in diesen Momenten zu sein scheint. Hier merkt man durchaus am stärksten, wie
groß die Angst vor einem möglichen Absturz ist. van der Vaart hatte damals
bildlich gesehen auf die Raute gespuckt, in dem er sich mit einem anderen
Vereinstrikot ablichten lies, obwohl er offiziell noch ein Hamburger war.
Groß, sehr groß war damals der Aufschrei und nicht wenige wünschten dem
Holländer die Pest an den Hals, doch diese Dinge scheinen, zumindest beim
Großteil des Anhangs, vergessen zu sein. Zu groß ist die Erleichterung über den
sportlichen Gewinn, den man vermutlich erzielen konnte und will man ihnen
wirklich einen Vorwurf dafür machen? Gerade in der heutigen Zeit, wo Respekt,
Loyalität und Prinzipien nur noch etwas für Randgruppen zu sein scheint…
Wie so oft im Leben und gerade beim Fußball, wird man
abwarten müssen, wie sich die Dinge entwickeln werden. Die Zeit wird zeigen, ob
es die richtige Entscheidung war alles auf eine Karte zu setzen. Man geht auf
jeden Fall ein enorm hohes Risiko ein und auch das mahnende Beispiel Köln hat
die Jungs aus der Hansestadt kalt gelassen. Man kann nur hoffen, dass man sich
nicht verpokert hat, denn sollte der HSV tatsächlich den Super-GAU erleben,
stünde die gesamte aktuelle Identität des Vereins auf der Kippe, denn in grauen
Zeiten wie diesen hat man sich stets an den Fakt gehalten, der letzte Dino der
Bundesliga zu sein. Man sollte beim HSV jedoch stets daran denken, dass auch
ein Dinosaurier nicht unsterblich ist...
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