Die Medien überschlugen sich förmlich. Lange Zeit war es ruhig gewesen und fast wäre der relativ kleine Ort in Vergessenheit geraten, doch plötzlich horchte ein ganzes Land, ach fast die ganze Welt, auf. Überraschend und über Nacht war die wichtigste Position frei geworden und die Oberen kamen zusammen um ihren neuen Anführer zu wählen. Wie in solchen Fällen üblich wollte sich niemand der Öffentlichkeit gegenüber äußern und dennoch schien jeder zu wissen, was passieren würde…
Habemus Pampam!
Es war der Tag, an dem
Hans-Peter Villis vor die Medien trat und Peter Neururer als neuen Cheftrainer
des VfL Bochum vorstellte. Eine Entscheidung, die aus reiner Plan- und
Hilflosigkeit heraus getroffen wurde, brachte den abstiegsbedrohten
Traditionsverein plötzlich auf die Titelseiten sämtlicher Sportmagazine. Warum
dem so war? Das dürfte nur sehr schwer zu erklären sein. Neururer war und wird
nie einer der ganz großen Trainer werden. Nie (mit einer Ausnahme… Bochum) konnte
er langfristig überzeugen und hielt es meist nur wenige Tage auf einer
Trainerbank aus und trotzdem ist er eine feste Größe im deutschen Fußball… auf
seine ganz eigene, spezielle Art und Weise. Neururer polarisiert die Menschen.
Es gibt nur Schwarz und Weiß. Entweder mag oder man hasst ihn. In Ansätzen ist
er also doch im Zirkus der Weltklasse-Trainer angekommen, denn in dieser
Hinsicht steht er einem José Mourinho oder Jürgen Klopp in der Tat in nichts
nach.
Genau diese Eigenschaft war
es aber auch, welche das Fass damals zum überlaufen brachte, als sich seine
Zeit in Bochum dem Ende entgegen neigte. Neururer spaltete die Massen und
schaffte es damals sogar die Fankurve des VfL Bochum in zwei Lager zu trennen,
was darin gipfelte, dass es handfeste Auseinandersetzungen während der letzten
Ligaspiele gab. Die Crux an der Geschichte ist nun, dass seine Ernennung zum
Cheftrainer in den vergangenen Tagen genau das Gegenteil bewirkte. Dabei war
die Skepsis zu Beginn groß, fast greifbar. Auf der einen Seite strömten fast im
Bruchteil der Sekunde die Leute zum VfL zurück, die man seit Jahren nicht
gesehen hatte und auf der anderen Seite blieben diejenigen zurück, die sich
noch gut an sein damaliges Ende erinnern konnten…
Der große Knall blieb
allerdings aus, was letztendlich aber wohl doch nicht wirklich überraschte,
denn der VfL stand zu diesem Zeitpunkt schon mit mehr als einem Bein im Grab.
Nur wenige Stunden waren vergangen, als man sang- und klanglos von Aue mit 0:3
im eigenen Wohnzimmer abgeschlachtet wurde und einmal mehr hilflos mit ansehen
musste, wie die Spieler mut- und willenlos das heilige Trikot beschmutzten und
durch den Dreck zogen… nicht zum ersten Mal in den vergangenen Jahren. Es waren
genau diese charakterlosen, freiwilligen Aufgaben, die das Publikum immer
wieder zum durchdrehen brachten. Es knallte so oft und es folgten kurze
Hochphasen, ehe alles wieder in den gewohnten Trott überging. So allerdings
nicht nach dem Spiel gegen Aue. Diesmal war es anders. Weder die Wut, noch die
aufkommende Häme gegenüber den Spielern auf den Platz waren schockierend. Viel
mehr war es die gnadenlose Gleichgültigkeit gegenüber den Spielern, dem
Geschehen auf dem Platz, welche einem die Tränen in die Augen treiben konnte.
Die Spieler auf dem Platz und auch die Verantwortlichen in den Chefsesseln
schienen es geschafft zu haben den Leuten endgültig ihren Verein zu nehmen. Der
VfL lag schon oft am Boden und ist immer wieder aufgestanden, doch diesmal
schien der letzte Groschen tatsächlich gefallen zu sein. Doch dann kam Peter…
Neururer überraschte vor
allem durch sein seriöses Auftreten. Natürlich war bereits die erste offizielle
Pressekonferenz von Sprüchen geprägt und er trat genau so auf, wie man es von
ihm erwarten konnte, doch da war auch noch eine andere, neue Seite zu erkennen.
Ruhig und fokussiert wirkte er, als er darauf zu sprechen kam, wie wichtig es
für die Stadt wäre, dass die Leute wieder an „ihren“ VfL glauben könnten. Es
war der Moment, wo man ihm, nach all den Jahren, zum ersten Mal ernsthaft
abnehmen konnte, dass der VfL für ihn mehr als nur seine erfolgreichste
Trainerstation ist. Da war kein dummes Gelaber dabei, kein lockerer Spruch,
sondern man konnte auch bei ihm die Angst davor spüren, dass sich die
Geschichte dieses Vereins dem Ende entgegen neigt. Bei Neururer weiß man
natürlich nie, wie echt eine Aussage ist und ob man ihr trauen kann, doch in
diesem Fall will man es vielleicht einfach nur glauben und vertraut ihm
entgegen jedem besseren Wissens, weil die Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit
so groß ist?!
Wie schon erwähnt, folgte
auf die Niederlage gegen Aue die Ernennung von Neururer zum Cheftrainer.
Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Unter keinen Umständen wäre dieser Mann
in Bochum wieder akzeptiert worden, doch die Umstände machten es möglich. Zu
aussichtslos war der Blick in die Zukunft. Man hatte sich bereits mit seinem
Schicksal abgefunden und traute den Versagern in den blau-weißen Trikots
überhaupt nichts mehr zu. So nahm man es dann auch zunächst relativ emotionslos
zur Kenntnis, dass nun tatsächlich der Schnäuzer wieder an der Seitenlinie
stehen würde. Was in den nächsten Tagen folgen sollte, grenzt allerdings an ein
Wunder. Es ist nichts Neues, dass Peter Neururer weiß, was die Leute hören
wollen und reden kann wie ein Weltmeister. Dass dem VfL allerdings plötzlich
die Bude eingerannt wird, konnte so niemand erwarten. Egal ob Medien, oder die
Fans. Bochum zuckte plötzlich wieder und das EKG schlug noch einmal kräftig
aus. Man holte Neururer, weil man keine andere Alternative mehr hatte. Die
Floskel: „Die letzte Patrone“ passte wohl noch nie besser, als zu dieser
Aktion…
Wieso gerade dieser Mann den
Verein aus seiner Lethargie riss, lässt sich nicht wirklich erklären.
Vermutlich war seine Ernennung einfach nur eine so extreme Entscheidung, dass
man gar nicht darum herum kam, sich damit zu beschäftigen. In der Folge kamen
und gingen die Tage und Neururer schien das beherrschende Thema zu bleiben und
das nicht nur in Bochum. Was aber viel entscheidender war, war der
Stimmungswechsel in der Stadt. Ob es nun wirklich an Neurures Fähigkeiten lag,
sei mal dahin gestellt, aber was unbestritten ist, ist die Tatsache, dass seine
Ernennung die Stadt wach geküsst hat. Es schien fast so, als ob viele plötzlich
erst erkannten, vor welcher Tragödie ihr Verein steht. Neururer predigte von
der erste Sekunde an, dass die Stadt und der Verein wie in alten (fast
vergessenen) Tagen zusammenhalten müssten und dass es dazu keine Alternative
gäbe und sein Wort schien Gesetz. Der Verein startete seine „Wir bleiben
drin!“-Aktion und innerhalb von wenigen Stunden konnte man an allen Ecken und
Enden VfL-Fahnen in der Stadt wehen sehen, die Ticket-Verkäufe schossen in die
Höhe und wo man auch hinging, sah man wieder den Funken Hoffnung in den Augen
der Leute. Freilich, nicht bei jedem war es so. Viele hatten einfach zu sehr
unter den vergangenen, emotionslosen Jahren gelitten, doch selbst diese Leute
konnten sich der aufkommenden Aufbruchsstimmung nicht gänzlich verschließen.
Das alte „Wir gegen den Rest der Welt!“-Gefühl war wieder da und man wurde
zwangsläufig mitgerissen und tatsächlich folgten zwei (recht glückliche) Siege gegen
Cottbus und den FC St. Pauli.
Viele werden darauf
beharren, dass Neururer der Grund dafür ist und es gibt auch nicht wenige, die
behaupten, dass er dafür verantwortlich ist, dass weder Cottbus, noch die
Hamburger es vollbrachten den Ball ins (fast) leere Bochumer Tor zu drücken und
vielleicht haben sie sogar Recht, doch viel wichtiger ist etwas ganz anderes.
Bei allen Schwächen die Neururer hat, bei all seinen negativen Eigenschaften
und bei all seinen Verfehlungen in der Vergangenheit, hat seine Ernennung dafür
gesorgt, dass eine ganze Stadt aufgewacht ist. Warum gerade er dieser Anstoß
war, damit die Leute in Bochum die Augen aufbekamen, ist und wird wohl für
immer ein Mysterium bleiben, aber man muss auch nicht immer alles erklären
können. Manche Dinge muss man einfach nur so mitnehmen wie sie sind und, ob er
nun bewusst etwas dafür kann oder nicht, dafür muss man Neururer danken, völlig
egal, wie diese Saison nun zu Ende geht. Der Klassenerhalt ist immer noch in
der absoluten Schwebe und vermutlich ebbt die ganze Nummer genauso schnell ab,
wie sie gekommen ist, sollte es schief gehen, aber das ist Zukunftsmusik und
aktuell völlig uninteressant. Wichtig ist nur, dass Bochum wieder erkannt hat,
wie wichtig der VfL für diese Stadt ist. Gerade in einer Zeit, wo Nokia und
Opel ihre Pforten geschlossen haben/schließen werden und viele Leute vor dem
Nichts stehen, ist es wichtig, dass sie wieder „ihren“ VfL zurückbekommen. Es
müssen auch in Zukunft keine Titel sein und es werden freilich deutlich mehr
Niederlagen als Siege kommen, aber das ist völlig egal. Wichtig ist einfach nur
dieses „Wir gegen den Rest der Welt!“-Gefühl. Genau das hat diesen Verein groß
gemacht und genau darin hat man sich auch immer zu GE und DO unterschieden. Man
war stets der kleine Verein, der sich immer alles erkämpfen musste, wo links
und rechts den Nachbarn alles in den Hals und in den Arsch geschoben wurde und
trotzdem hat man es geschafft sich zu behaupten, weil man bis zum umfallen
gekämpft hat. Weil man die Leute um sich herum kennt und weiß, dass diese Leute
genau die gleichen Gedanken und den gleichen Antrieb haben. Weil Bochum schon
seit eh und je eine kleine Familie ist, wo jeder den anderen kennt, weil die
Fans des Vereins fast ausschließlich aus der eigenen Stadt kommen und man sich
so fast täglich trifft. Genau deswegen ist und wird Bochum wohl auch immer ein
Verein bleiben, wo die Extreme so unglaublich nah beieinander liegen. Die Leute
verlangen und fordern von den Spielern, dass sie Blut und Schweiß für den
Verein geben. Sobald aber auch nur der kleinste Ansatz zu sehen ist, dass die
Spieler nicht dazu bereit sind, schlägt die Stimmung ins übertrieben negative
um. Genauso geht es aber auch andersrum. So lange die Jungs sich auf dem Platz
zerfetzten, werden sie, unabhängig vom Ergebnis auf Händen getragen. Tut man
den Spielern damit oft Unrecht? Natürlich. Muss man sich dafür entschuldigen?
Nein, denn das ist einfach Bochum. Das ist unkontrollierbare Leidenschaft und
ein Gefühl, welches es so nur bei ganz wenigen Vereinen auf der Welt gibt und
entweder will man das als Spieler und stellt sich dieser Herausforderung, oder
man wechselt nach Dortmund…
So unbeliebt Neururer auch bei
vielen sein mag (auch beim Schreiber dieser Zeilen), so passt er vielleicht
auch gerade deswegen so gut nach Bochum, weil er eben ein Extrem ist. Ob seine
Mission am Ende von Erfolg gekrönt sein wird, steht immer noch in den Sternen und
die Zweifel sind immer noch extrem groß, doch der Funken Hoffnung ist wieder da
und dafür gehört ihm gedankt, egal wie diese Saison zu Ende gehen wird und wer
weiß, vielleicht kann er ja doch übers Wasser gehen…
Habemus Pampam!
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